Beidhändigkeit und das Sattler’sche Gesetz … rechtshändig, linkshändig oder gestört?
(überarbeitet am 10.03.2020)
Nachdem Linkshändigkeit allmählich doch akzeptiert wird, werden nun Beidhänder diskriminiert wie ehedem die Linkshänder. Allgemein wird dabei auf eine Frau Dr. Sattler verwiesen, die sich zu der Ansicht verstiegen hat, Beidhändigkeit wäre krankhaft. Nachdem das Thema im Umgang mit Hochbegabten, Hochsensiblen und anderen neurodiversen Menschen mit gewisser Regelmäßigkeit auftaucht, widme ich mich dieser heiklen Materie mit einigen zielführenden Gedanken.
Beidhändigkeit und Realität
Meine Klienten sind vor allem Hochsensible, Hochbegabte, Asperger usw. In der Welt dieser »bunten Menschen« wimmelt es von Linkshändern und Formen der Händigkeit, die landläufig als »Beidhändigkeit« bezeichnet werden. Unverkennbar sind die »Experten« mit diesen Menschen jedoch schlicht überfordert. Eine typische Reaktion ist dann, dass diese sogenannten Experten solche Besonderheiten als krankhaft erklären. Psycho-Washing im weißen Kittel! Schluss mit Dr. Sattler und ihrer unhaltbaren Behauptung, Beidhändigkeit wäre eine Störung … Bühne frei für die Fakten!
Kritik am Hemisphären-Modell
Ein zentrales Konstrukt in den Theorien der Rechts- und Linkshändigkeit ist das Hemisphärenmodell. Schon Wikipedia weiß: »Das Hemisphärenmodell ist eine populärwissenschaftliche Adaptation neurowissenschaftlicher Befunde zur Lateralisation des Gehirns. Es erklärt vereinfacht die Funktionsweise des Gehirns, wird aber mittlerweile als überholt angesehen.« (Wikipedia, 2018) Entstanden ist das Hemisphären-Modell aus einer krankheitsorientierten Herangehensweise in der Erforschung des Gehirns.
Kurz zusammengefasst besagt das Hemisphärenmodell, dass die Reize in bestimmten Zentren verarbeitet würden und dann zu Output führen. Dabei würden die logischen Leistungen in der linken, die kreativen Leistungen in der rechten Großhirnhälfte erzeugt. Diese Vorstellungen sind maßgeblich geprägt von Beobachtungen an Patienten mit Hirnverletzungen bzw. nach Schlaganfällen. Obwohl die Vorstellung einer logisch-analytischen und einer kreativen Hirnhälfte oberflächlich betrachtet reizvoll klingen mag, ist sie dennoch falsch. Dies zeigt die neurologische Forschung der letzten Jahrzehnte eindeutig. Dieser Erkenntnisgewinn ist nicht zuletzt dem Anderssein von Aspergern, Synästheten, Hochbegabten usw. gedankt. Tatsächlich entstehen unsere Hirnleistungen durch ein netzwerkartiges Zusammenwirken von Hirnteilen.
Die Aktivitätsmuster des Gehirns in MRT-Scans zeigen dabei, dass bei der Planung von Bewegungen jeweils sowohl der rechte als auch linke Präfrontale Cortex aktiv sind. Dies ist unabhängig davon, ob eine Rechts- oder Linkshändigkeit vorliegt. Eine Aufgabenteilung der Hemisphären gibt es eher dahingehend, dass die linke Hemisphäre gefestigte (konsistente) Gedächtnisinhalte vorhält, während die rechte Hemisphäre die Verarbeitung situativer (inkonsistenter) Inhalte übernimmt.
Die linke Hemisphäre ist also unser »Selbstfahrmodus«, die rechte Hemisphäre übernimmt die »Steuerung von Hand«. Deshalb haben Menschen, die viel aus ihren Gewohnheiten heraus bewältigen, eine Linkshirndominanz. Menschen, die sich eher von der Situation leiten lassen, haben entsprechend eine ausgeglichene Hemisphärenaktivität. Das Gehirns ist also NICHT in eine linke »logische« und rechte »kreative« Hemisphäre geteilt.
Wie die Händigkeit entsteht
In einem Experiment haben Forscher der University of California, Berkeley festgestellt, dass eine Hemmung des Parietalen Cortex am Hinterkopf bei Rechtshändern zu einer reduzierten Rechtshändigkeit führt. Derartige Experimente gibt es inzwischen etliche. Sperrt man also die gewohnten »Nervenautobahnen«, so handeln auch die Rechtshänder linkshändig. Es werden also jeweils Versionen einer Handlung für rechts und links vom Gehirn zur Verfügung gestellt, von denen aber schließlich nur eine ausgeführt wird.
Das Defizit dieser Forschungen ist allerdings, dass in den Versuchen Handlungen ausgeführt werden, die auch eingeschworene Rechtshänder »mit links« schaffen. Sie sind also auch beiderseits in der motorischen Hirnrinde angelegt. Das heißt, dass man hieran eher verstehen kann, was passiert, wenn ein umgeschulter Linkshänder mit rechts schreibt und warum dies für ihn kräftezehrend ist.
Es erhellt aber die Struktur der Händigkeit nur insoweit, dass der Parietale Cortex an der Entscheidung über rechts oder links beteiligt ist. Letztlich sind bei einem Rechtshänder Spezial-Leistungen wie Schreiben aber vermutlich nur linksseitig im motorischen Cortex angelegt. Die Beschränkung komplexer Bewegungsabläufe auf eine Hand spart substanziell Hirnkapazitäten und fließt schließlich auch über eine stabile Nervenbahnung. Ob der Parietale Cortex dabei überhaupt beteiligt ist, bleibt also offen.
Händigkeit erhöht deshalb die Leistungsfähigkeit. Auch wird dadurch weniger ängstigende Unsicherheit erlebt. Die Entscheidung, welche Hand am Ende eine Bewegung ausführt, ist dabei nicht einer irgendwie gearteten Hemisphärendominanz geschuldet. Wie erklärt, entsteht die Hemisphärendominanz dadurch, dass bei konsistenter Händigkeit vorwiegend die »gefestigten« Muster abgerufen werden, wodurch die linke Hirnhälfte aktiver erscheint. Dies trifft jedoch auf konsistente Rechtshänder und Linkshänder gleichermaßen zu. Auch der konsistente Linkshänder hat also eine Linkshemisphärendominanz.
Weitaus besser fügen sich diese Befunde in dem Konzept von Christman und Prichard zu einem Bild. Sie schlagen vor, die Rechts-Links-Unterscheidung aufzugeben und von »konsistenter« = stabiler Händigkeit und »inkonsistenter« = flexibler Händigkeit zu sprechen. Sie führen aus, dass die Befunde keine Richtung (rechts, links) sondern ein Ausmaß der Lateralisierung unterstützen.
»A classification of humans into a near 50-50 split of inconsistent- versus consistent-handers is more consistent with behavioral, genetic, and evolutionary considerations than the traditional classification of 90 % right-handed and 10 % left-handed.« (Stephen D. Christman, Eric C. Prichard – Half Oaks, Half Willows: Degree, Not Direction, of Handedness Underlies Both Stable Prevalence in the Human Population and Species-Beneficial Variations in Cognitive Flexibility)
Eine Klassifizierung von Menschen in eine ca. 50-50-Teilung von inkonsistenten gegenüber konsistent Händigen stimmt besser überein mit verhaltensbezogenen, genetischen und evolutionären Überlegungen als die traditionelle Klassifizierung von 90 % Rechtshändern und 10 % Linkshändern (Übers. v. Verf. d. Beitr.).
Vorgeburtliche Beiträge – mehr geleckt ist mehr »geliked«
Die Entwicklung der Händigkeit beginnt bereits im Mutterleib. Welche Faktoren ihn in Gang setzen, ist noch unbekannt. Selbst bei eineiigen Zwillingen kommt jedoch eine unterschiedliche Händigkeit vor. Der Beitrag der Gene ist also gering. Wie schwach der genetische Einfluss ist, zeigt sich auch darin, dass nicht von der Führungshand auf den Führungsfuß geschlossen werden kann. Das heißt, ein Rechtshänder kann entweder einen linken oder einen rechten Führungsfuß haben. Wäre die Seitendominanz stark genetisch geprägt, müsste die Zuordnung weitgehend einheitlich sein.
Der Daumen, der im Mutterleib mehr gelutscht wird, zeigt die spätere Seitenorientierung an. S. Ocklenburg et al. haben einen Einfluss der Seitenorientierung des Körpers gefunden mit Auswirkungen auf den Wachstumsfaktor TGF-ß. Es könnte also sein, dass dadurch eine Hand motorisch ein wenig vor der anderen entwickelt ist. Weil dieser Daumen dann auch zuerst funktionstüchtig wird, wird er auch zuerst in den Mund gesteckt. Mehr geleckt ist dann auch mehr »geliked« und bei einer Veranlagung zur Konsistenz gibt es alsbald eine Lieblingshand. Durch den intensiveren Gebrauch wird diese dann auch besser neuronal vernetzt. Durch die Wechselwirkung von Lustgewinn, Training und Neuroplastizität erhält sie eine größere Repräsentation im Gehirn. Diese Lieblingshand wird also von Anfang an mehr gefördert und damit auch leistungsfähiger. Und offenbar mag man diese Hand dann sogar mehr.
Dieser »begabteren« Hand werden später natürlich auch die komplexen Aufgaben wie Musizieren, Malen und Schreiben übertragen. Da diese Entwcklung bereits im Mutterleib einsetzt, entsteht der Eindruck einer angeborenen Händigkeit. Tatsächlich ist womöglich nur die Neigung zur Konsistenz angeboren, der Rest ist vermutlich das Ergebnis der »Daumenlutsch-Frühförderung«.
Linkshändigkeit
Wie bereits berichtet, ist die Hemisphärendominanz gleichermaßen bei konsistenten Rechts- wie Linkshändern gegeben, da die Hemisphärendominanz eine Folge der Konsistenzorientierung ist und nicht der Händigkeit. Linkshändigkeit ist jedoch keine umgedrehte (inverse) Rechtshändigkeit.
Entlang von Studienergebnissen haben die meisten Linkshänder tatsächlich eine inkonsistente = flexible Händigkeit. Das heißt, dass hier beide Arme in den Genuss der »Daumenlutsch-Frühförderung« gekommen sind, weil genetisch eine Neigung zum situativen Handeln gegeben ist. Die Repräsentationen sind also beidseits im motorischen Cortex gefördert worden und zugleich ist der rechte präfrontale Cortex aktiver. Dadurch zeigen diese Menschen eine weitgehend ausgeglichene Aktivierung in den Hirnhälften.
Da aber die Optimierung komplexer motorischer Leistungen in hohem Maß Hirnkapazitäten beansprucht, werden komplexe Handlungsabläufe nachgeburtlich dennoch nur für eine Körperseite erlernt. So bildet sich allmählich auch bei inkonsistenter Händigkeit eine bevorzugte Seite heraus, die auch für neu zu erlernende Handlungsabläufe eingesetzt wird. Wer also links malt als Kind, wird dann auch links zu schreiben beginnen. Dadurch kann sich diese flexible Händigkeit sowohl rechts- als auch linksbetont entwickeln.
Da jedoch viele Studienautoren bereits die Linkshändigkeit als Abweichung auffassen, werden diese Unterschiede dann nur noch am Rande erwähnt. Typische Aussagen sind, dass Linkshänder weniger seitenbetont sind als Rechtshänder. Dies wird dann gern als Folge des Lebens in einer Rechtshänderwelt erklärt. Ja, auch bei geistigen Konzepten läuft vieles auf »Selbstfahrmodus«. Die eigene Weltsicht wird den Interpretationen und Konzepten unterlegt und mit den Forschungen »bewiesen«. Bekannt ist dies als »Rosenthal-Effekt«.
Inkonsistente = flexible Händigkeit
Bei der Recherche über Händigkeit bin ich über das Konzept von Christman und Prichard (siehe oben) gekommen, das wesentlich besser mit den tatsächlichen neurologischen Befunden in Übereinstimmung zu bringen ist als die Konzepte der Hemisphären-Theoretiker.
Von außen erkennbar ist bei inkonsistenter = flexibler Händigkeit, dass zahlreiche Handlungen beidseits gelingen. Die Seitenorientierung ist weitaus geringer. Unstrittig ist auch, dass diese Menschen eine andere Struktur des Großhirns haben ohne Dominanz einer Hirnhälfte. Dies ist jedoch dem Faktor der situativen Bewältigung und der Lust auf Neues (aktiverer rechter präfrontaler Cortex) geschuldet und nicht der Seiten-Orientierung. Es handelt sich zunächst um eine gleichsinnige Anlage dahingehend, dass linksseitig die gefestigten Muster repräsentiert sind und rechts die situativen Impulse verarbeitet werden. Die rechte Hemisphäre ist deutlich aktiver und zahlreiche Grundfunktionen werden schließlich auch beidseitig erlernt. Dadurch erscheinen sie auch im Motorischen Cortex auf beiden Seiten. Dies kann dann zu Konkurrenz-Situationen führen, in denen linke und rechte Hand »uneins« sind, wer nun die Führung übernimmt. Das bewirkt den vielzitierten »Knoten im Kopf« bei Linkshändern.
Beidhändigkeit, Kreuzhändigkeit
Verbleiben noch die Beidhänder, die selbst mit dem Ignorieren von Tatsachen in keine der Schablonen passen wollen und damit als »echte Beidhänder« in Erscheinung treten. Beidhänder sind ebenfalls flexible Händer und auch sie zeigen eine Bevorzugung. Diese ist jedoch nicht mehr rechts-links-bezogen, sondern aufgabenbezogen. Aufgabenbezogene Bevorzugung bedeutet, dass bestimmte Aufgaben der rechten Hand zugeordnet werden, andere der linken Hand (Crosshandedness).
Es handelt sich also um ein Händigkeitsmosaik, das jedoch in sich durchaus stabil ist. Daneben gibt es wohl auch Beidhänder, bei denen die Abläufe tatsächlich auf beiden Seiten annähernd gleichwertig repräsentiert sind. Krankhaft ist daran gar nichts. Es ist allenfalls kräftezehrend, weil jeweils zwei Versionen im Gehirn bereitgestellt werden und dann eine gehemmt werden muss.
Kreuzhändigkeit am persönlichen Beispiel
Bei mir selbst sind viele grobmotorische Leistungen zunächst der linken Hand zugeordnet: Nägel einschlagen, sägen, bohren, werfen, fangen, Pfannen schwenken usw. Bestimmte Tätigkeiten wie Schneiden oder Medikamente injizieren mache ich ebenfalls links, obwohl sie eher feinmotorischer Natur sind. Malen geschieht mit beiden Händen. Male ich ein Bild, so zeichnet die linke Hand die rechtsgebogenen Linien, die rechte Hand die linksgebogenen. Gefühlvolle Farbverläufe zu schraffieren ist Sache der linken Hand. Die rechte Hand verwende ich zum Schreiben und für andere feinmotorische Aufgaben. Ich kann natürlich auch links schreiben, jedoch bin ich hier auf dem Niveau eines Erstklässlers stehen geblieben durch die schulische Erziehung zum rechtshändigen Schreiben. Bei Ermüdung des linken Arms oder rechtsseitiger Arbeitssituation übernimmt die rechte Hand fast alle linksseitigen Aufgaben flüssig. Dabei wechseln jeweils Haltehand und Führungshand. Obwohl es also äußerlich ein wirres Bild ergeben mag, ist innerlich die Aufgabenverteilung durchaus klar.
Beidhändigkeit und Neurodiversität
Da solch eine komplexe Händigkeit eine hohe geistige Leistungsfähigkeit und Flexibilität voraussetzt, muss eine Beid- und Kreuzhändigkeit stets an eine Hochbegabung denken lassen. Geht man davon aus, dass nur gut 1 % der Menschen von Fachleuten als »echte Beidhänder« eingestuft werden in den Studien, so passt dies ausgezeichnet zu den Zahlen, die für Hochbegabung angenommen werden. Weiter wird Beidhändern »bescheinigt«, dass sie ein höheres Risiko für Lernstörungen, ADHS und psychische Erkrankungen haben. Nun, auch unerkannte Hochbegabte werden häufig in eben dieser Weise auffällig bzw. fehldiagnostiziert. Doch wie wird ein »Händigkeits-Experte« die Situation einschätzen, wenn das Kind nicht in sein Schema passen will? Schlimmer noch, wenn er von einem (hoch)begabten Beidhänder dann intellektuell in Frage gestellt wird?
Bedenken wir nun noch, dass Beidhänder auch noch meist bildhaft (spatial) denken. Dadurch werden sie leider auch unzureichend durch IQ-Tests erfasst und tun sich mit den vielen »logischen« Inhalten im modernen Alltag schwerer. Wie Anne Heintze in einem Blogartikel ausführt, wirken spatial Denkende dadurch weniger intelligent als sie sind. Und spätestens dann ist den Diskriminierungen durch die sogenannten Experten Tür und Tor geöffnet. So wird aus Unverstehen ein Herabwürdigen.
Was tun – Spiegelung ist wichtig
Beidhänder brauchen erfolgreiche Vorbilder, von denen sie lernen können, wie man mit dieser Besonderheit umgeht. Weil das Phänomen eben selten ist, hat man als Beidhänder im persönlichen Umfeld meist keine Menschen, an denen man sich orientieren kann. Man erlebt sich dann quasi als den einzigen seiner Art und »wie vom anderen Stern«.
Je mehr man anders ist, um so wichtiger ist es, sich klar darüber zu sein, inwiefern man anders ist. Sonst gerät man ins soziale Aus.
Beidhänder brauchen Menschen, die ihnen helfen zu be-greifen, wie man diese Flexibilität meistert. Und sie brauchen andere Betroffene, mit denen sie wenigstens zeitweise eine Normalität und ein Verstandenwerden erleben können. Nicht hilfreich sind neue Vorurteile. Auch die »Umschulung« auf eine vermeintliche Linkshändigkeit ist unsinnig. Hilfreich ist ein klares inneres JA zu dieser Besonderheit.
Flexible Händigkeit und Denkstil
… In addition, inconsistent- versus consistent-handedness is associated with more flexible versus rigid cognitive styles, respectively, … (Stephen D. Christman, Eric C. Prichard – Half Oaks, Half Willows: Degree, Not Direction, of Handedness Underlies Both Stable Prevalence in the Human Population and Species-Beneficial Variations in Cognitive Flexibility)
Darüber hinaus ist inkonsistente gegenüber konsistenter Händigkeit mit flexibleren versus starren Denkstilen verbunden. (Übers. v. Verf. d. Beitr.)
Die Welt spaltet sich nicht in rechts und links, sondern in konservative und flexible Geister; in Eichen und Weiden, wie Christman und Prichard es nennen. Es ist das Los der Weide, im Sturm zu zerbrechen. Der wasserschleppende Zauberbesen aus Goethes Zauberlehrling verkörpert das Wesen der Weide ganz besonders. Sich übers Wasser neigend wie wasserschöpfende Wesen, kann aus jedem Stück, in den feuchten Boden gesteckt, wiederum ein neuer Baum entstehen. Wen wundert’s, dass da die Eichen auch einstimmen in das Klagen …
Wehe! wehe!
Beide Teile
stehn in Eile
schon als Knechte
völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Mächte. (Goethe – Der Zauberlehrling)
Was ist hilfreich?
Nun, vielleicht sollte ich einfach noch mehr liegende Achten malen … das wird ja wärmstens empfohlen für den »Hemisphären-Ausgleich«, was immer das sein mag. Vielleicht habe ich sie nur mit der falschen Hand gemalt. Aber welche ist denn nun die »schöne Hand« … rechts, links, beide zugleich … ja wie denn nun? Oder gleich über Kreuz mit Händen und Füßen? Es gibt ja so viele Wege etwas zu tun, wenn man erst mal die geistigen Scheuklappen abgelegt hat. Beidhändigkeit ist nun mal der Gegenpol zur konsistenten Händigkeit und dies spiegelt sich auch im Welterleben wieder. Doch um so mehr muss man innerlich klar werden, welche Hand wann was tut.
Hilfreich hierzu sollten re-kreative Tätigkeiten sein, bei denen linke und rechte Hand »Hand in Hand« arbeiten und der flüssige Wechsel von Führungshand und Haltehand in einem komplexen Tun geübt wird. Denke an Tai Chi, Katas, Kampfsport, Malerei, Musizieren, Makramee, …
Eine Fortführung dieser Gedanken finden Sie in meinem Beitrag
Mit Interesse habe ich den Artikel gelesen. Die Kommentare der anderen haben mich dazu animiert, auch etwas beizutragen.
Seit ich denken kann, empfinde ich mich als Beidhänderin und habe das immer als Vorteil betrachtet. Meine Eltern (beide verstorben) und Bruder waren bzw. sind rechtshändig. Vor dem Schuleintritt war meine Mutter unsicher und brachte mich zu einem Psychologen, um zu klären, mit welcher Hand ich schreiben sollte. Er reichte mir alle möglichen Dinge an, beobachtete, mit welcher Hand ich zugriff und kam zu dem Schluss (so mein Mutter) dass ich beidhändig sei und es dann praktischer wäre, wenn ich die rechte Hand zum Schreiben benutze. Das tat ich dann auch ohne zu Murren. Bei den vielen Schreibübungen Mitte der Sechziger Jahre (viele Zeilen von Spazierstöcken mit Krücke oben, unten, rechts und links) entwickelte sich meine Feinmotorik zu großer Geschicklichkeit , Schnelligkeit und einem einwandfreien Schriftbild ohne Rechtschreibprobleme. Wir haben auch noch Schönschrift geübt und Gedichte abgeschrieben. Malen und zeichnen durfte ich mit links. Auch bei allen anderen Tätigkeiten wurde ich meiner Erinnerung nach von niemandem reguliert oder kritisiert. Heute ist alles, was ich mache, eine bunte Mischung. Werfen, Boule-spielen und Kegeln tue ich mit links. Beim Werfen mit rechts fühle ich mich wirklich ungeschickt. Alle Schlägerspiele mache ich mit rechts. Vielleicht war der Beginn dessen, dass ich meinen rechtshändigen Bruder beim Tischtennis nachgeahmt habe. Tennis spiele ich mit rechts, werde aber im Laufe der Jahre immer besser darin, blitzschnell und ohne nachzudenken den Schläger in die linke Hand zu nehmen, damit ich Bälle noch erreiche. Für Gegnerinnen, die mich nicht kennen, ist das oft eine große Überraschung. Schneiden und Brote schmieren kann ich viel besser mit rechts, löffeln und auskratzen mache ich lieber mit links. Sicher wurde mir von meinen Eltern das Schleife binden gezeigt, aber bestimmt aus Rechtshänder-Sicht. Ich mache das aber wie ein Linkshänder und habe mir das vermutlich selber umgedacht. Schon immer konnte ich mit links schreiben, allerdings eher langsam und mit unausgeschriebener Kinderschrift wie eine Grundschülerin. Das habe ich Interessierten auch gerne immer vorgeführt. Karten spielen, Abwaschen, Abtrocknen und Kellnern tue ich wie eine Linkshänderin, Zähne putzen, mit der Schere schneiden, Haare bürsten und Klatschen mache ich mit rechts. Arme verschränken und Hände falten wie Linkshänder. Bei der Benutzung der Füße habe ich auch diese Mischung. Zwei verschiedene Hochsprungtechniken übte ich im Sportstudium eine mit links und eine mit rechts. Bei Volleyball mache ich Aufschläge von oben mit rechts, von unten mit links. Seit Kindertagen bis heute spiele ich in einem Akkordeon-Orchester mit einem ’normalen‘ Instrument für Rechtshänder und auch Gitarre spielen habe ich mir selbst rechtshändig beigebracht. Stricken kann ich sehr schnell und sauber mit rechts. Immer mal wieder stricke ich zum Spaß und zum Üben mit links und finde das eine sehr interessante Erfahrung. Ich weiß genau, wie es geht, habe aber noch lange nicht die gleiche Geschicklichkeit wie mit rechts. Das erfordert augenscheinlich einfach eine lange Übungszeit. Hämmern, Schrauben und Bügeln kann ich mit beiden Händen gleich gut. Während ich das alles schreibe, fällt mir auf, dass ich wahrscheinlich die durch andere vermittelten Fertigkeiten mit rechts erledige und die selbst gewählten, unangeleiteten mit links.
Bei meiner Tätigkeit als Erziehungsberaterin achte ich darauf, mit welcher Hand die Kinder bei verschiedenen Aktivitäten agieren. Nicht wenige sind mit 5 Jahren noch unentschieden. Demnächst gehe ich aus Interesse und als Fortbildung zu einer Linkshänderberatung. Am Telefon wurde mir mit Skepsis begegnet, als ich sagte, ich sei eine unbelastete Beidhänderin.
Die Beraterin hat sich laut ihren Angaben auf der Webseite selber auf links zurückgeschult, fühlte sich mit der falschen Hand schreibend sehr belastet und unglücklich und hilft nun anderen Betroffenen bei ihrer Rückschulung, wenn sie sich dazu entscheiden.
Ich bin sehr gespannt darauf, was die Beraterin in zwei Stunden mit mir ausprobieren, und welche Aspekte sie ansprechen wird.
Wie ich finde, ich bin ein Beispiel dafür, dass es Beidhändigkeit gibt und es keine Probleme verursacht, sondern eine Bereicherung ist.
Bettina, als Kinderfluesterer in Berlin
Interessanter Artikel! Ich bin selbst „geborene Beidhänderin“, was mir jedoch in Kindergarten und Schule relativ gewaltsam „abtrainiert“ wurde. Im Kindergarten sollte ich mich für eine Seite „entscheiden“. Ich wurde als Rechtshänder eingestuft und die linke Hand wurde mir zeitweise sogar auf den Rücken gebunden, damit ich daran gewöhnt werde, mit rechts zu malen etc. Das war lange Zeit für mich wirklich schwer. Heute mache ich tatsächlich die meisten Dinge mit rechts – mit links mache ich sie Spiegelverkehrt. Wenn ich mit links schreibe z.B. setze ich rechts an und schreibe spiegelverkehrt nach links. Vor dem Spiegel kann man es wunderbar lesen – sonst nicht.
Wieder auf das Thema aufmerksam geworden bin ich nun, weil mein Erstgeborener Linkshänder ist und wir ihm viele Dinge für Linkshänder besorgt haben. Ich benutze diese Dinge genauso problemlos (ohne nachzudenken) wie alle anderen Dinge auch – wobei sich mein rechtshändiger Mann absolut ungeschickt anstellt 😉
Dabei bin ich auf diesen Artikel aufmerksam geworden – war wirklich sehr interessant für mich! Vor allem auch der Passus, dass die Händigkeit und die „Fußigkeit“ nicht gleich sein müssen. Bei der Händigkeitsbeurteilung meines Sohnes wurde z.B. ein Fragezeichen gemacht, da er zwar mit links malt, isst, schneidet und Bausteine aufeinander steckt, aber mit rechts Fußball spielt. Angeblich müsse er als Linkshänder auch mit links schießen. Da ich das hier jetzt gelesen habe, bestätigt mich das in meiner Überzeugung, dass er ein „echter Linkshänder“ ist.
Sehr aufschlussreicher Text! Ich wollte aus meiner persönlichen Erfahrung ergänzen, dass kreuzhändigkeit/ Beidhändigkeit nicht immer mit negativen Erfahrungen einhergehen muss. Ich wurde dafür nie diskriminiert (für andere Eigenarten dafür ganz bestimmt) und habe es schon immer als Vorteil angesehen. Ein Beispiel wäre beim „Fahrradschrauben“, wo es häufig Sinn macht Werkzeuge und Hände zu wechseln. Gedanken mit links spiegelverkehrt schreiben kann ich auch sehr empfehlen.
Übrigens: Selbst synästhesien haben bei mir meist eine bevorzugte Körperseite. (Z.b Klänge und Visualisierungen sind beim rechten Ohr sehr häufig)
Ich bin mir absolut sicher, dass Beidhändigkeit einer komplexeren Gehirnvernetzung/-Struktur zugrunde liegen. Das kann man als beidhändige/r synästetiker/in förmlich spüren!
Hallo, gerade heute war ich mit meinem fast 6 Jährigen Sohn bei einer Linkshänder Beratung. Nach dem Test heute ist er rechtshänder, bei einer anderen Untersuchung zuvor war er eindeutig linkshänder!?! Ich lasse es jetzt auf mich zukommen und bin froh das es auch was dazwischen geben kann?. Liebe Grüße Philine
DANKE für den tollen Beitrag.
Mein Sohn wurde damals vor Schulantritt ebenfalls getestet. Anschließend wurde ihm eine Ergotherapie verordnet damit er seine starke Seite findet und darauf geschult wird. Er hatte da absolut keine Lust zu und instinktiv wollte ich das auch nicht. Also sind wir nach 2 Monaten nicht mehr hingegangen. Mein Sohn ist heute 12 Jahre alt und super gefestigt darin welche Hand er für welche Tätigkeit nutzt. Ich finde das total toll und sehr besonders.
Damals machte mir das Sorgen, weil er bevor er zeichnen oder schreiben wollte/sollte ewig brauchte um sich zu koordinieren. Er brauchte immer ziemlich lang bis er dann wirklich losgelegt hat.
Dinge die bei gleichaltrigen Kindern automatisch in Sekunden geschahen, waren für ihn erst nach Minuten umsetzbar. Heute ist davon nichts mehr zu sehen. Er selbst findet das auch super.
Wow, vielen Dank für diese Schilderungen! Meine 6-jährige sieht sich mit denselben Artefakten konfrontiert, wobei es wohl für mich eher „ein Problem“ darzustellen scheint als für sie.
Ich bin super happy über eure Kommentare und Geschichten! Sie zeigen mir, dass es so sein darf und keine Interventionen nötig sind. Das war mein Bauchgefühl – von Anfang an. Dies hier jetzt zu lesen erleichtert mich sehr!!! Vielen Dank euch allen!!!
Hallo 🙂 vielen Dank für den ausführlichen Artikel! Ich dachte bisher immer, dass ich Linkshänderin bin, weil ich mit links schreibe, zeichne und klatsche. Allerdings mache ich auch viel mit rechts, wie zum Beispiel schneiden und Zähneputzen.
Auch bei meinen Füßen schieße ich den Ball mit rechts, bin als Kind aber ,,falsch“ Roller gefahren.
Demnach müsste ich Beidhändig sein und es ist schön zu wissen, dass das vollkommen normal ist! 🙂
Ich finde interessant, dass Beidhänder ein höheres Risiko für Lernstörungen, ADHS und psychische Erkrankungen haben und ihre Intelligenz häufig unterschätzt wird. Das erklärt in meiner Familie einiges. Da meine Mutter noch auf Rechtshändigkeit erzogen wurde, ich meine Tochter dagegen möglichst nicht beeinflusst habe, sehe ich diese Veranlagung zur gemischten Händigkeit eher als genetisch denn als nachahmungsbedingt an.
Wir sind übrigens auch „beidfüßig“. Danke für die Aufklärung und die ermutigenden Worte im Artikel!
Man sollte auch die Tatsache nicht ausser Acht lassen, dass wir ebenfalls durch Imitation lernen. Gerade in der frühkindlichen Prägung hat es sicherlich einen Einfluss, mit welcher Hand ein Kind versucht ein Verhalten/eine Bewegung nachzuahmen. Der rechtshändige Elternteil steht hinter dem Kind und zeigt ihm etwas indem die Hand geführt wird. Die wenigsten Eltern achten auf die dominante Hand des Kindes und zeigen es so, wie sie es können.
Das gepaart mit dem Fakt, dass einige Gegenstände nicht Linkshänder geeignet sind, zwingen einen regelrecht dazu, mit der rechten Hand auszugleichen. Scheren oder auch Füller sind das beste Beispiel. Auf einmal war mit einem Linkshänder Füller meine Schrift viel klarer und der Füller kratzte nicht mehr über das Papier. Scheren waren nur mit der rechten Hand bedienbar.
Trotzdem kann ich mit beiden Händen gleichermaßen schreiben, wobei die rechte Hand nicht ganz so flüssig den Stift schwingt. Das ist aber gewöhnungssache. 2 Tage und das Schriftbild ist ebenmäßig und klar.
Hallo JJ Danke für den Kommentar … natürlich leben wir in einer »Rechtshänderwelt« und unsere gesamte Lebensumwelt ist letztlich für Rechtshänder optimiert. Das reicht von Bedienelementen aller Art über Technikdesign bin zu alltäglichen Utensilien und Konventionen. Man begrüßt sich mit der rechten Hand, wir haben Rechtsverkehr, Baumaschinen blasen die Kühlluft nach rechts (als Linkshänder bekommt man deshalb den Staub ins Gesicht), Messer sind für Rechtshänder geschliffen, Gewinde sind allgemein rechtsdrehend, Drehschalter gehen rechtsrum auf max, in der Musik ist die Melodiehand rechts usw. Unsere Schrift ist sowieso rechtsorientiert. Abgeleitet davon sind dann auch alle selbsterklärenden Bedienfunktionen rechtsorientiert aufgebaut. Selbst auf dem Bürgersteig versuchen die Leute meist rechts vorbeizugehen, wenn sie einem entgegenkommen. Selbstverständlich ist man dadurch als Nicht-Rechtshänder konstant gefordert, »andersrum« zu handeln als es dem eigenen Impuls entsprechen würde. Das findet sich wiedergespiegelt in den Studien, in denen sich die Linkshänder durchweg weniger lateralisiert (nach der Körperseite orientiert) zeigen als die Rechtshänder. Als Beidhänder trifft uns das sinngleich. Umso wichtiger ist es, uns immer wieder die Frage zu stellen »Was ist gerade meine „richtige Hand“?« Und ja, die „richtige Hand“ darf jetzt eine andere sein als vorher … das ist nur für Experten ein Problem. Für uns reicht die innere Klarheit darüber, welche Hand gerade führt, welche assistiert.
Vielen Dank für diesen Text! Ich selbst bin „kreuzhändig“ auf die gleiche Weise, nur dass ich feinmotorische Aufgaben mit Links erledige, wie das Schreiben und das Zeichnen, eher grobmotorische Dinge, wie werfen und erstaunlicherweise zu Schulzeiten das An-der-Tafel-Schreiben, tue ich eher mit rechts. Aber auch wenn ich sehr kleine Dinge mit der Schere ausschneide verwende ich die rechte Hand. Generell kann ich die meisten Aufgaben annähernd gleichwertig, bei Ermüdung etc., mit der jeweils anderen Hand ausführen. Ich habe mich bisher immer verloren gefühlt, da ich niemanden kenne, der kein klarer Links- oder Rechtshänder ist und ich bisher bei meiner Recherche hauptsächlich die Beidhändigkeit nur in Verbindung mit Entwicklungsstörungen oder Ähnlichem gefunden habe. Jetzt weiß ich endlich, dass ich nicht alleine damit bin. Herzlichen Dank dafür!
Weiterhin viel Erfolg
Herzlichen Dank für Ihre Ausführungen zu diesem Thema.Es tut gut, mal nicht ‚in die Ecke‘ gestellt zu werden – und das mit wissenschaftlich klingenden Worten.
Es ist auch gut, eine fundierte Erklärung zur Hand zu haben, wenn jemand mit Berufung auf pseudowissenschaftliche Erkenntnisse nach links oder nach rechts gedrängt werden soll.
Viel Erfolg mit all Ihren Tätigkeiten!