»Kokosöl ist Gift« oder Healthwashing in der Ernährung
Lebensmittelwerbung war gestern. Heute ist Influencing angesagt. Ja, auch die Verbrauchermanipulation unterliegt dem Fortschritt. Wenn man sich mit Influencing befasst, wirkt es schon romantisch-süß, wie wir einst mit rotbackigem Kinderstrahlen auf minderwertige Nährmittel eingeschworen wurden. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen man uns raffiniertes Öl als Heile-Welt-Margarine auf’s Brot geschmiert hat. Allerdings ist Healthwashing nicht neu. Ein frühes Beispiel ist, wie man uns mit Studien über Cholesterin eingeseift hat. Heute geht es noch mit deutlich härteren Bandagen in den Ringkampf um Konsumenten. Doch wie funktioniert Healthwashing in der Ernährung?
Dr. Dr. Michels und das Kokosöl
Derzeit geistert ein Vortrag mit einer Frau Dr. Dr. Michels als Referentin durchs Internet, in dem Kokosöl als »reines Gift« bezeichnet wird. Der Vortrag ist Teil einer größeren PR-Aktion. Gerade wegen der haltlosen Behauptungen in dem Video ist er ein Lehrstück über Healthwashing in der Ernährung. In unserem Fall steht das Uniklinikum Freiburg hinter dieser Inszenierung. Zunächst gründet man keine Abteilung, sondern … ein »Institut für Prävention und Tumorepidemiologie«. Selbst wenn es doch nur eine Schreibstube sein sollte, klingt »Institut« weitaus seriöser. Es erweckt den Schein einer Unabhängigkeit. Und in dieser Unabhängigkeit kann man auch Dinge tun, die man als Uniklinikum besser nicht macht. Sodann beweihräuchert man das Ganze ausgiebig mit akademischen Titeln. Mit dieser Unzweifelhaftigkeit im Rücken können nun ungeniert auch eindimensionale Behauptungen in die Welt gesetzt werden, um sie dann auf allen Internetplattformen wiederkäuen zu lassen.
Anmerkung: Inzwischen hat das Universitätsklinikum Freiburg ein Statement veröffentlicht, in dem man sich von diesen Aussagen distanziert. Ich weise gerne darauf hin, wobei mein Beitrag auf Vorgänge zielt, die überall im Ernährungsbereich ablaufen zu unserem Nachteil als Käufer.
Wahrheit ist nicht so wichtig
Dabei ist es gar nicht so wichtig, dass die Aussagen wahr sind, sondern nur, dass sie oft genug und überzeugt genug breitgetreten werden. Also besser mal so richtig rein ins Fettnäpfchen, so dass es einen Aufschrei gibt quer durchs Internet. Es ist für den Erfolg also auch unwichtig, dass die Aussagen im Vortrag unhaltbar sind und der Referentin offensichtlich selbst Grundkenntnisse der Ernährung fehlen. So unterstellt sie beispielsweise, dass Kokosöl »fest« sei. Nun, natives Kokosöl ist mehr oder weniger flüssig bei Zimmertemperatur. Trotzdem zieht sie mit missionarischem Eifer her über das »feste« Kokosöl, das die Adern verstopfen würde. Belege für ihre angeblich »wissenschaftlichen Erkenntnisse« braucht sie nicht. Sie ist ja »Expertin«, wie sie selbst betont. Das ersetzt sowohl Sachkunde als auch ethische Bedenken. Das ähnelt sehr der Art und Weise, wie uns in den ’80ern mit dem Cholesterin die Butter ranzig gemacht wurde, um der Margarine aufs Tableau zu helfen. Auch da wurden Schwierigkeiten durch Schmierigkeiten gelöst. Und bis heute werden auf der Basis der bekannt falschen Ergebnisse Empfehlungen gegeben von Medizinern.
Mit Kokos-Speck fängt man Forschungs-Mäuse
Es wirkt so dummdreist, dass man sich unvermittelt umsieht, ob das hier nicht ein Scherz ist frei nach Hape Kerkeling. Auf der grünen Wiese … Huuurz! Dennoch funktioniert das Prinzip, weshalb es ja auch immer wieder gern genommen wird. Einfach mal Behauptungen in die Welt setzen und darauf vertrauen, dass sie sich umgehend viral verbreiten. Der Speck muss bekanntlich den Mäusen schmecken und nicht den Rattenfängern. Der Speck ist in unserem Fall Kokosbutter, die es klammheimlich in die gesundheitsbewusste Küche geschafft hat und dort Butter und Margarine Konkurrenz macht. Die Mäuse sollen hier vermutlich von den industriellen Geldgebern locker gemacht werden, um weitere Studien zu finanzieren.
Da die Forschung in der Ernährung weitgehend von der Industrie finanziert wird, ist ein guter Forscher vor allem einer, der erwünschte Ergebnisse hervorbringt. Was diese Studien also »beweisen« werden, wird davon abhängen, wer die Studien finanziert. Vielleicht wird uns ja schon bald eine neue Schmiere als »gesund« präsentiert werden. Oder vielleicht erlebt die gute alte Butter ein Healthwashing als »Superfood«? Selbstverständlich wird man uns dies einmal mehr als »wissenschaftliche Erkenntnisse« darstellen. Und ebenso sicher werden die Studienautoren angeben, dass sie keinen Interessenskonflikt haben. Und wir werden ihnen wieder glauben, obwohl wir es besser wissen könnten. Healthwashing scheint ein gewisses Brainwashing zu verursachen … bei uns Verbrauchern wie bei den Akteuren.
»Voll fett« ist im konkreten Fall, dass die PR-Aktion offenkundig gar nicht auf uns Konsumenten abzielt, sondern auf industrielle Geldgeber für Studien. Wir sind dabei nur die Dummies, die einmal mehr gegen die Wand gefahren werden. Was zählt es schon, dass wir unsere Gesundheit ruinieren im Glauben, uns Gutes zu tun? »Kollateralschäden« nennt man das wohl im Big-Money-Zirkus.
Orale Selbstbestimmung
Uns wirft das einmal mehr zurück auf dieses Keine-Ahnung-was-ich-noch-glauben-soll-Gefühl. In diesem Herumglitschen zwischen Zweifeln und Gefühlen sind wir Menschen erst recht manipulierbar. Als Ausweg sehen wir (Bernhard Bühr, Eva-Maria Engl M.A. – Ernährung für Hochsensible, erscheint 02/2019 bei Gräfe und Unzer) inzwischen, was wir »Orale Selbstbestimmung« nennen. Die Grundidee besteht darin, dass eine verbesserte Selbstwahrnehmung und eine Klärung unserer eigenen Motivationen und Impulse es erlaubt, diesen Impulsen auch zu folgen. Glaubenssätze, Traumen, Konditionierungen zu klären, Küchenfertigkeiten erwerben, die Sinne schulen … Aus der so gewonnenen inneren Klarheit und Kompetenz heraus entsteht eine persönliche Esskultur, die uns trägt und nährt, ohne jeden Bissen einzeln hinterfragen zu müssen.
Ein kurzer Realitätscheck zum Kokosöl
Nachdem wir so viel über Kokosöl gesprochen haben, wäre es doch sehr mager, wenn hier auf die Kritikpunkte gar nicht eingegangen würde. Also mal »Butter bei die Fische«! Die Kernaussage von Frau Dr. Dr. Michels Vortrag ist, das Kokosöl Arteriosklerose bewirken würde, weil es überwiegend aus gesättigten Fettsäuren besteht. Wenn diese Aussage irgend einen Realitätsbezug hätte, dann müsste sich dies in den typischen »Kokosländern« in hohen Zahlen bei den Herz-Kreislauf-Erkrankungen niederschlagen. Vielleicht auch für zusätzliche Tumortote sorgen. Nun, die WHO-Statistiken weisen hierzu folgendes aus:
- Deutschland 47 % Herz-Kreislauf-Tote, 27 % Krebstote (www.who.int/chp/chronic_disease_report/germany.pdf)
- Indonesien 28 % Herz-Kreislauf-Tote, 12 % Krebstote (www.who.int/chp/chronic_disease_report/media/impact/indonesia.pdf)
- Thailand 20 % Herz-Kreislauf-Tote, 14 % Krebstote (www.who.int/chp/chronic_disease_report/thailand.pdf)
Ja nooo! (dt.: Nun ja!?) Die Zahlen könnten nicht eindrucksvoller sein. Trotz des ständigen oder womöglich wegen des Verzehrs von Kokosprodukten ist das Herz-Kreislauf-Sterberisiko nur halb so hoch wie in Deutschland. Es gibt auch weniger als halb so viele Tumortote. Dabei ist in diesen Ländern die Chance, eine solche Krankheiten zu überleben, wesentlich geringer als in Deutschland undank der medizinischen Versorgungssituation. Bypass-Operationen sind beispielsweise nicht verfügbar für Durchschnittsbürger. Unter westlichen medizinischen Bedingungen wären die Zahlen also nochmals günstiger. Fazit: Native Kokosprodukte einschließlich Kokosöl haben zunächst keinen negativen Einfluss auf die Gesundheit.
Eine angemessene Menge, eine gute Qualität und eine individuelle Bekömmlichkeit sind Grundvoraussetzungen
- Die angemessene Menge hängt von klimatischen Bedingungen und körperlichen Anforderungen ab. Wer im Winter draußen arbeitet, setzt wesentlich mehr gesättigte Fette um als ein Schreibtischarbeiter im warmen Büro.
- Die Qualität wird maßgeblich durch Anbau und Verarbeitung beeinflusst. Denken wir daran, dass Kokos leicht schimmelt und natürlich auch ranzig wird an der Luft. Doch spricht dies nicht gegen Kokos, sondern dies sind grundsätzliche Probleme bei fettreichen Nahrungsmitteln bzw. bei Nahrungsmitteln aus den Tropen. So ist auch der Kaffee, der in dem oben genannten Vortrag wärmstens empfohlen wird, hochgradig von der Schimmelproblematik betroffen, wie eine spanische Studie nachweist. Das können wir über einen bewussten Einkauf lösen.
- Die Bekömmlichkeit ist eben ein »individueller« Faktor. Nicht jeder reagiert auf Kokos günstig, nicht jeder verträgt Kokos, so wie dies auch für alle anderen Nahrungsmittel gilt. Das gilt umso mehr für Hochsensible. Deshalb empfehle ich seit jeher, Ernährung individuell zu betrachten und sich von pauschalen Gesundheits-Empfehlungen zu lösen. Die eine Kost für alle gibt es nicht!
Mein »kleines Küchengeheimnis« zu Öl und Fett
Zum Kochen so wenig Fett wie möglich, dafür ein Ölguss am Ende des Garens
Problematisch für den Körper sind hitzeveränderte Fettsäuren und Fettbegleitstoffe. Auch Transfettsäuren sind Problemstoffe. Diese denaturierten Öle bzw. Fette entstehen einmal durch Raffination, Umesterung und andere industrielle Prozesse. Sie entstehen andererseits in der häuslichen Zubereitung. Wenn Fette stärker erhitzt werden, z. B. beim Braten, zersetzen sie sich rasch. Also benutzen wir zum Anbraten etc. nur ein Minimum an hitzestabilen Ölen wie Olivenöl, Rapsöl. Natürlich ist auch natives Kokosöl dazu gut geeignet. Und weil native Öle und Fette wertvoll für uns sind, gibt es am Ende nochmals einen Guss Olivenöl etc. Dieses wird nur noch erwärmt und entfaltet so sein volles Aroma und seinen vollen gesundheitlichen Wert. Gesundheit kann richtig gut schmecken mit dem richtigen Küchen-Knowhow.
Mehr »kleine Küchengeheimnisse« gibt es bald auch in unserem Buch: Bernhard Bühr, Eva-Maria Engl, M.A. – Ernährung für Hochsensible (erscheint 02/2019 bei Gräfe und Unzer, ISBN 978-3-8338-3-6834-4)
Hallo Bernhard!
Der Markt ist so überflutet von Kokosöl.. bio, konventionell, teuer, günstig….. möchte es unter anderem für Körperpflege (Hautbalsam nach Rasur und intensivem Saunieren) benutzen. Hin und wieder auch zum Kochen.
Kann ich für die Körperpflege ein etwas günstigeres Bioprodukt nehmen, oder gar konventionell?
Welches Produkt kannst du für die Ernährung empfehlen (Kochen, Brotaufstrich..)?
Oder gibt es einen „Allrounder“, der für alles gut ist?
Will weder meine Haut/Körper unnötig mit Schadstoffen belasten, noch als Student meine Lebensmittelkosten noch weiter in die Höhe treiben.
Eine oder ein paar Kompromiss-Empfehlungen bzgl. Kokosöl würden mir sehr sehr weiterhelfen!
Ich freue mich über deine Rückmeldung!
Viele Grüße
Matthias
Hallo Matthias
Grundsätzlich kommt Kokos großteils aus kleinbäuerlichem Anbau. Dort wird die Kokospalme allerdings in Mischkulturen kultiviert. Insgesamt ist über die Problematik von Pestiziden bei Kokos nur wenig Detailliertes greifbar. Jordana Alves Ferreira – Determination of pesticides in coconut (Cocos nucifera Linn.) water and pulp using modified QuEChERS and LC–MS/MS (
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0308814616310160 ) „Carbendazim, Carbofuran, Cyproconazole and Thiabendazole were found below the LOQ.“ Auch Neonikotinoide (systemisch wirkende Insektizide, https://de.wikipedia.org/wiki/Neonicotinoide ) werden eingesetzt. Derzeit wird der Eindruck erweckt, dass eigentlich nichts in die Kokosnuss eindringen könnte. Aber prinzipiell können alle systemisch wirkenden Pestizide auch in die Nuss gelangen.
Ein anderes Thema sind polyaromatische Hydrocarbone, die beim Schnelltrocknen von Kokosfleisch auftreten. Es macht also aus gesundheitlicher Sicht doch Sinn, auf Bio-Produkte und hochwertig verarbeitete Produkte zu achten. Das heißt nicht, dass deshalb der Preis hoch sein müsste. Letztlich ist die Kokosnuss tatsächlich derzeit kein Problemnahrungsmittel. Neben den gesundheitlichen Überlegungen ist Bio natürlich auch ein sozialer und ökologischer Mehrwert, was nur eben ein Randthema in unserem Blog ist.